Über das Leben

 

Lieben ist genug
(Ernst Bertram)

Du kannst nicht sein,
du kannst dich nur verschwenden.
Kannst bleiben nicht,
die Erde wandelt aller Enden.
Du kannst nicht sammeln,
jedes Gold wird Blei,
und nicht ergreifen,
alles schwirrt vorbei;
du kannst nicht wissen,
denn es war nur Trug.
Du kannst nur lieben,
Lieben ist genug.

 

Die Wüste
(Charlotte Koller)

Sieh in die Ferne. 
So kannst du erkennen,
dass selbst in der Wüste schattenspendende Bäume wachsen,
dass selbst in der Wüste lebensspendende Brunnen stehen,
dass selbst in der Wüste viele Lebewesen ihre Heimat haben.

Hin und wieder sind diese Bäume und Brunnen 
von kleineren und größeren Dünen verdeckt,
sodass dir die Sicht auf sie verwehrt bleibt.
Dann suche dir die höchsten Dünen am Horizont.
Nimm alle Kraft zusammen und schlage den Weg ein,
der dich direkt zu ihnen führt, 
sollte er auch noch so lang und unwegsam erscheinen.

Begib dich mutig und Schritt für Schritt 
bis zum höchsten Punkt der höchsten Düne,
setze einen Fuß nach dem anderen.
Du wirst merken, dass die Düne jeden deiner Schritte
in ihrer geduldigen Sanftheit auffängt.

Hast du die große Düne erklommen,
dann spüre die Weiche und Wärme ihres Sandes 
unter deinen Füßen.
Sie hat nun alle furchteinflößende Macht über dich verloren 
und dient dir jetzt als erhabenes Polster 
und hilfreiche Stütze auf deinem Weg.

Du siehst, dass alle anderen Dünen, dir dir zuvor die Sicht
auf Bäume und Brunnen verwehrten,
nun ganz klein sind - 
hast du ja die größte von ihnen bezwungen.

Und nun - sieh in die Ferne.
Du kannst erkennen,
dass selbst in der Wüste schattenspendende Bäume wachsen,
dass selbst in der Wüste lebensspendende Brunnen stehen,
dass selbst in der Wüste viele Lebewesen ihre Heimat haben,
und dass hier, wo du jetzt bist,
auch deine Heimat ist.